Was zunächst nur als sehr provokante These rüberkommt entspricht leider genau der Realität. Um den Menschen, die sich für unser aller Wohl in Gefahr begeben müssen kein Unrecht zu tun, muss ich allerdings zwischen zwei Formen des Stresses unterscheiden. Da gibt es auf der einen Seite den echten Stress, den Menschen in lebensbedrohlichen Situationen oder als Rettungskräfte in Katastrophenlagen erleben. Sei es durch Unfälle, Krankheiten, Kampfsituationen. Hier geht es ums Ganze und es ist richtig, dass unser Körper dadurch in Stress gerät. Denn diese Reaktion des Körpers ist dazu gedacht uns zu schützen, unseren Körper für Kampf oder Flucht vorzubereiten und in höchste Alarmbereitschaft zu versetzen, um Schaden zu begrenzen oder zu vermeiden.
Die Antwort des Körpers ist sattsam bekannt: Angstgefühl, erhöhte Muskelspannung, erhöhter Blutdruck, erhöhter Blutzuckerspiegel, höhere Herzfrequenz, höhere Atemfrequenz, geweitete Pupillen, kaltes Schwitzen und so weiter. Die entsprechenden Hormone (Adrenalin) sorgen dafür, dass in einem solchen Falle das gesamte System des Körpers und des Geistes auf alles von außen kommende gerichtet wird, denn die Gefahr kann ja nur von dort kommen. Drei Fragen prägen unsere Welt in diesem Moment:
- Wann kommt die nächste Gefahr?
- Von wo kommt sie?
- Wie kann ich reagieren?
Der Körper kann mit den Folgen eines kurzfristigen Stresses prinzipiell gut umgehen und sogar positive Effekte daraus nehmen: Ein gutes Gefühl nach der Überwindung der Situation und eine erhöhte Aufnahme- und Lernfähigkeit in diesem Moment. Was evolutionsbiologisch gesehen gut war, weil der Geist sich einprägen kann, wie der Körper diese Gefahr überwunden hat, wird leider im Falle eines traumatischen Erlebnisses sehr oft zur Falle für den Geist in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung. Natürlich liegt diesen Situationen zumeist keine Entscheidung zugrunde und daher muss ich diese Fälle hier ausgrenzen. Die sind nämlich wirklicher Stress für uns und die Folgen sind oft schlimm genug.
Was ist aber mit dem Stress, der uns tagtäglich bedrängt? Ist das wirklich Stress im biologischen Sinne? Oder ist das vielleicht nur Stress im Sinne unserer eigenen Wirklichkeitskonstruktion? Der dann von unserem Geist zum biologischen Stress gemacht wird? Der echte Stress Kampf, Krieg, Unfall, Naturkatastrophe bedeutet immer unmittelbare Lebensgefahr. Aber bist Du in Lebensgefahr, wenn Dein Chef Dir noch mehr Arbeit hinlegt? Besteht irgendeine Gefahr für Leib und Leben, wenn ein Kunde Dich am Telefon aufs Übelste anfährt, egal was Du getan hast? Riskierst Du Deine Unversehrtheit, wenn Du im Stau stehst und Gefahr läufst bei einem wichtigen Termin zu spät zu kommen? Kommt jemand ernsthaft zu Schaden (außer Deinem Ego), wenn Du auf einer Bühne stehst und Dich verhaspelst? Ich gebe zu, diese Fragen sind eher rhetorisch und sehr suggestiv gestellt. Natürlich nicht!
Dennoch macht das keinen Unterschied für Deinen Körper, denn die Stressreaktionssysteme in Deinem Körper können gedachte von wirklicher Realität nicht unterscheiden. Demzufolge sind die Reaktionen exakt dieselben: Angstgefühl, höhere Muskelspannung, erhöhter Blutdruck, erhöhter Blutzuckerspiegel, höhere Herzfrequenz, höhere Atemfrequenz, geweitete Pupillen, kaltes Schwitzen und so weiter. Nicht ganz in demselben Maße, aber doch deutlich wahrnehmbar. Und vielleicht hast Du es gemerkt. Ich habe diese Passage direkt von oben kopiert und hierher gesetzt. Wie können aber Situationen, die eigentlich gar keine Ähnlichkeit miteinander haben, dieselbe körperliche Reaktion hervorrufen? Und noch viel schlimmer: was macht das mit uns, wenn es zum Dauerzustand wird? Was macht es mit unserem Körper und was macht es mit unserem Geist? Ich will nur kurz drauf eingehen, weil es nicht Thema des Beitrages ist. Das Gehirn, das einen Großteil der Körperfunktionen über verschiedene Mechanismen steuert, kann gedachten Stress nicht von echtem Stress unterscheiden und reagiert mit einer hormonellen Antwort. Es wird u.a. ein Stresshormon ausgeschüttet, das Cortisol genannt wird. Es ist eines der Hormone, dass uns morgens wach und aufmerksam macht, sich aber über den Tag wieder abbaut. Wenn jetzt aber ständig Reize latenter Gefahr unsere Wahrnehmung erreichen, sieht das Gehirn das als Stress an und lässt die Nebennierenrinde weiterhin Cortisol ausschütten. Und das hat handfeste Konsequenzen. Nicht nur, dass man latent unruhig und gereizt ist, sondern auch, dass der Stoffwechsel anders funktioniert. Grob vereinfacht bedeutet das, dass wenn der Geist in einer ständigen Wachsamkeitssituation ist, denkt das Gehirn, dass der Körper andere Nährstoffe benötigt, als wenn er in Ruhe ist. Er benötigt für den Fall dass es zu einer physischen Gefahrensituation kommt, schnelle Energie und daher steigt das Verlangen vor allem nach süßen Sachen, die sofort Energie in den Körper bringen. Das wiederum hat natürlich die bekannten Auswirkungen auf die Körperform und den Stoffwechsel, vor allem wenn die Energie nicht durch körperliche Aktivität verbraucht werden kann. Da die Evolution den Körper aber auf Sparsamkeit und Bevorratung getrimmt hat, in prähistorischer Zeit war eben nicht klar, wann es wieder was zu Essen gibt, legt er diese Energie in einen der haltbaren Energieträger des Körpers an: in Fett. Kohlehydrate kann der Körper nur begrenzt speichern und Protein ist zu umständlich umzubauen. Das gilt natürlich nur dann wenn es wirklich dauerhafter Stress ist. Das ist eben auch der Grund für die Empfehlung Sport als Ausgleich zu Stress und psychischer Belastung zu treiben. und zwar am besten regelmäßig bzw. gleich nach dem Stressereignis.
Ich will mich jedoch der ursprünglichen Aussage widmen, dass Stress eine Entscheidung ist. Im Gegensatz zum Unfall, oder einer Kriegssituation, hat man im Alltag immer eine Wahl. Und es ist ganz enorm wichtig sich genau das bewusst zu machen: Je bewusster ich mich, und die Welt um mich herum, wahrnehme, desto mehr Optionen habe ich in einer der beschriebenen Situationen. Beispiele? Ich kann meinem Chef ganz ruhig und sachlich erklären, dass ich schon sehr viele Aufgaben habe und fragen welche der Aufgaben aus seiner Sicht am dringendsten zu erledigen ist. Ich kann dem wütenden Kunden erklären, dass ich mich seiner Sache annehmen werde und welches Ergebnis ihm am schnellsten weiterhelfen würde und ich kann im Stau mittels eines modernen Kommunikationsmittels, das mittlerweile der Mehrzahl aller erwachsenen Menschen zur Verfügung steht, den anderen Teilnehmern erklären, dass ich mich verspäten werde und es nicht abwenden konnte (Staus können nun mal unvorhergesehen auftreten. Vor einer Wiederholung sollte man sich allerdings hüten und bessere Vorkehrungen treffen). Das sind simple und wirkungsvolle Handlungsoptionen, die ich habe, wenn ich mir nur einen Moment lang die wirkliche reale Situation bewusst mache. Und ich mache damit noch etwas anderes: Ich zeige, dass ich die Initiative ergreife und Verantwortung übernehme, anstatt das Opfer der Umstände zu sein. Damit werde ich meinen eigenen „Stress“ los und gewinne das Vertrauen und den Respekt meiner Umwelt, weil die anderen wahrnehmen, dass ich das, was passiert, aktiv manage. Und sich selbst und die reale Umwelt wirklich wahrzunehmen, und sich nicht die Wirklichkeit anderer (Chef, Kunde, wartende Terminteilnehmer, etc.) aufzwingen zu lassen ist eine Entscheidung. Deine Entscheidung!