Manche ahnen es und noch weniger wissen es: es gibt ein paar verdeckte Pandemien, die jenseits aller typischen krankheitsbedingten Seuchen liegen. Die meisten Seuchen zeichnen sich durch ihre Infektiosität aus. Soll bedeuten: der wichtigste Faktor zur Verbreitung ist eine einfache Übertragung von Individuum zu Individuum. Sei es durch die Luft, durch Berührung, durch Tröpfchen oder wie auch immer. Dazu gehören Pest, Cholera, Pocken, Syphilis, Rhinoviren, Coronaviren und so weiter. Diese Krankheiten sind meist eine ernstzunehmende Gefahr und die Menschheit hat in den vergangenen Jahrhunderten etliche Medikamente und Impfungen entwickelt, die sie abmildern oder verhindern sollen. Es scheint also als hätten wir diese Art der Verbreitung von Krankheiten einigermaßen in den Griff gekriegt oder sind mindestens durch eine Kombination aus verbesserter Hygiene, verbesserter Gesundheitsversorgung und Impfungen besser beherrschbar geworden. So weit so gut.
Aber es gibt Krankheiten, die verbreiten sich fast ebenso schnell und sind nicht ansteckend! Dazu gehören Diabetes 2, Adipositas, Metabolisches Syndrom, Depression und Krebs, um nur einige zu nennen. Und dazu gehört auch neben unterschiedlichsten Suchtkrankheiten, und jetzt festhalten: Die Abhängigkeit von Geräten. Ja, richtig gelesen! Auch wenn manche sich schwertun das zu akzeptieren: Der Umgang mit unseren Devices hat oft genug Suchtcharakter.
Die Vielfalt der Anwendungen und Möglichkeiten ermöglicht ein echtes Suchtverhalten mit allen negativen Aspekten einer Sucht. Diese Gefahr haben sogar die großen Plattformbetreiber schon zur Kenntnis nehmen müssen. Aber wie machen sie (die Geräte) das? Mit zwei ganz bestimmten Effekten: Sie verändern die wahrgenommene Realität der Benutzer, indem sie nur das anzeigen, was ihm gefällt und ihn im besten Falle sogar dazu bringen das zu kaufen, was sich in dieser Kategorie wiederfindet.
Und zum anderen den Eingriff in unsere Neurotransmitter, weil jeder Like uns so gefällt, dass er einen kleinen Dopaminschubser in uns auslöst. Die Summe dieser kleinen Schubserchen kann uns sprichwörtlich süchtig und abhängig machen, weil manche Menschen nur noch posten, um diesen Kick zu kriegen. Der angesprochene Neurotransmitter ist Dopamin. Und es ist der gleiche Neurotransmitter, der auch bei anderen Suchterkrankungen z. B. Kokainsucht eine Rolle spielt. Übrigens Zucker wirkt noch stärker als Kokain mit einem ähnlichen Mechanismus auf dieselben Rezeptoren. Noch Fragen? Im Lichte dieser Erkenntnis müssten eigentlich Diabetes 2 und Adipositas noch einmal ganz neu beleuchtet werden. Aber das gehört nicht hierher.
Erschreckenderweise sind viele Menschen geradezu abhängig von den Geräten und wären in einer Welt ohne sie mittlerweile vollkommen verloren. Klar sind dabei viele praktische Helferlein: Navigation in einer fremden Stadt, Restaurants, Einkaufen, Kochen, Lebensplanung, Jahres-, Monats-, Wochen-, Tagesplanung, Training, Freunde/Partner finden, Pflanzen/Tiere, Lifehacks, How-Tos, Gotos, Wetter, Radarwarner, Finder, Zahlung, Miete, Buchungen, Kommunikation, Spaß und Spiele. Was können wir eigentlich nicht über eine App machen? Viel fällt mir dabei nicht mehr ein, aber wie wär‘s mal mit Leben? Mit Fühlen? Sich und andere wirklich wahrnehmen? Und nicht durch ein Device hindurch? Oder ist das schon zu viel verlangt?
Und wenn du es nicht glaubst, dann gehe mal durch die Strassen und zähle die Leute, die dir begegnen und währenddessen telefonieren, oder in das Device gucken. Wie viele von den unter 50-jährigen haben ein Smartphone in der Hand und bedienen es gerade? Ich wette es sind mehr als 50%. Wenn das nur die Fussgänger wären! Es sind aber oft genug auch Rad- oder Autofahrer. Und das ist mehr als leichtsinnig. Das ist verantwortungslos! Zum Glück braucht man zum Motorradfahren zwei Hände…!
OK! Manche gehen ja damit auch durchaus verantwortungsvoll um, und nutzen die eine oder andere App nur mal so zwischendurch, um sich das Leben zu erleichtern. Das ist ja auch genau der Zweck davon. Aber andere …. die leben darin. Die können gar nicht mehr anders. Sprüchen, wie der unter Renn- und Profiradlern beliebte Satz: „If it’s not on Strava, it did not happen!“ sprechen Bände. Das ist ernster gemeint als es zunächst scheint. Ich bin tatsächlich schon danach gefragt worden: „Von dir findet man ja gar nix auf Strava! Bist du überhaupt Radfahrer?“ Ja, ich nutze halt Strava nicht und habe dennoch schon 13 Ironman gemacht und fahre ca 10.000 bis 15.000km Rad pro Jahr und die Kilometer zu meinem Arbeitsort sind da noch gar nicht dabei. Und wie manche dann erstaunt feststellen, hat es meiner Form nicht geschadet, weil ich ihnen lächelnd davonfahre, wenn sie meine Leistungsfähigkeit gar nicht einschätzen können. Ist das in einem Rennen vielleicht sogar am Ende ein Vorteil? Ich brauche dieses Tool einfach nicht, weil ich
- Meinen Weg auch ohne finde
- Meine Leistungsdaten in professionellen Tools zur Trainingssteuerung speichere
- Nicht das Bedürfnis habe, anderen gegenüber mit meinen Leistungen anzugeben
Oha! Der letzte Punkt ist ja heikel. Ja das Ego ist meistens für das Zurschaustellen der eigenen Leistung der Hauptschuldige. Boah, schau mal was für ein toller Hecht ich bin: 32er Schnitt! Zum einen: Profis lächeln milde über diesen Schnitt und zum anderen: Für Amateure ist es eh meist völlig irrelevant. Aber es macht Eindruck!
Diese Device Addiction ist eine ernstzunehmende Gefahr für die mentale und physiologische Gesundheit, weil sie die Realität der Menschen gewissermassen „biegbar“ macht, wenn sie mit Meinung oder sogar bewusster Irreführung geschickt gemixt wird. Sind wir da etwa schon wieder an dem Punkt Manipulation? Eindeutig. Manch einer vertraut der Wetter-App mehr als dem Himmel, den er durchs Fenster sehen kann oder was er fühlen würde, wenn er einen Schritt vor die Türe macht. Spooky!
Wenn es nur bei der Wetter-App so wäre, dann wäre ja alles gut. Aber es gibt eine Menge Apps, die weitaus realitätsformender sind als eine Wetter-App. Oh, ich will hier gar nicht über die bösen Social Media herziehen … oder doch eigentlich schon. Denn sie formen unsere Wirklichkeit mittlerweile mehr als vieles andere. Weil sie uns immer wieder dazu verführen auf den Confirmation Bias reinzufallen: Was mich und meine Meinung bestätigt, dem glaube ich mehr. Wenn mich jemand nicht bestätigt, bin ich weniger geneigt ihm überhaupt zuzuhören.
Ich fasse also mal zusammen: wir haben etwas, dass unsere Wirklichkeit und vor allem unsere Meinung darüber verändert. Und dann gibt es einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass ich nur noch das sehe, was das bestätigt, was ich lese, sehe oder höre: Der sagenumwobene Algorithmus. Und dieser wird dafür sorgen, dass ich in Zukunft nur noch das angezeigt bekomme, was zu dem passt, was ich bereits geliked habe. Vollkommen egal ob es wahr ist oder nicht. Wir alle wollen doch gerne ein wenig belogen werden, oder? Vor allem wenn es um unser Selbstbild geht. Wenn es uns scheinbar schlauer, schöner, stärker, reicher macht ….: Mein Device ist das, was die Spritze für den Junkie ist …. Es transportiert den Stoff, der uns süchtig macht! Anerkennung! Wir alle gieren danach als wären wir auf „turkey“!
Ich weiß, ich vermische hier ein wenig Ursache und Wirkung. Aber in diesem Falle sind beides sich gegenseitig und selbst verstärkende Effekte. Die eigentliche Ursache ist aber unser Drang nach Anerkennung. Jeder Mensch wird gerne gemocht und bekommt gerne Lob. Und das Device (meist das Smartphone) ist der ideale Schlüssel dazu. Deshalb ist es eine Sucht. Denn wir wissen, dass es uns schadet, benutzen es aber dennoch ziemlich selbstvergessen und können nicht mehr davon ablassen. Ist das die Schuld der Hersteller? Nein, aber sie nutzen dieses Gefühl ziemlich schamlos aus. Denn sie wissen es und erlauben, dass ein paar es ganz bewusst steuern.
Können wir uns dagegen wehren? Definitiv! Im Moment sein, in der realen Welt sein. Dort spielt sich nämlich das Leben ab. Und darauf haben die SocMed und die Geräte keinen Einfluss. Nutze es, aber lebe nicht darin, heißt die Devise. Da drin ist nämlich nur das, was andere dich sehen lassen wollen. Und nichts anderes!