Viele Menschen denken ja mit zunehmendem Alter werden sie steifer weil die Gelenke nicht mehr mitmachen. Das ist nicht richtig. Wenn wir es uns genau anschauen, dann ist es genau umgekehrt. Wenn du schon einmal in Asien warst, sind dir dort sicher auch Menschen aufgefallen, die auch im hohen Alter mit geradem Rücken in der tiefen Hocke auf den Fersen sitzen können, stundenlang. Irgendwie kann also das Alter nicht die Ursache für die Steifigkeit sein. Andererseits sehe ich in meiner täglichen Praxis als Trainer Menschen, die mit Anfang 40 bei einer Rumpfbeuge den Boden bei weitem nicht mehr erreichen. Was ist da los?
Wie ist dieser Verlust der Beweglichkeit erklärbar? Dazu müssen wir uns zunächst einmal klar machen, dass je älter wir werden die Kraft und Masse unserer Muskulatur nachlässt. Und am Maße dieses Kraftverlustes erkennt unser Gehirn unser echtes Alter. Da gibt es sogar Tests dafür: Grifftest, Gangtest, etc. Vor diesem Hintergrund ist es nur logisch, dass die neuronale Ansteuerung auch verloren geht, wenn es nichts mehr zum Ansteuern gibt! Jetzt ist es aber so, dass die Gelenke sofern sie nicht durch Gicht, durch Fehlhaltungen verbogene Gelenkkapseln (reversibel) oder entzündliche Krankheiten beschädigt sind, ihre Beweglichkeit weitgehend behalten. Das Gelenk ist es also nicht, was die Beweglichkeit verliert. Es ist die nachlassende Kraft der Muskeln (Protagonisten und Antagonisten), die uns die Beweglichkeit verlieren lässt. Der/die Protagonist/en (treibende Muskeln der Bewegung) verliert die Kraft ein Gelenk zu stabilisieren und das Gehirn steuert mit vermehrter Spannung des/der Antagonisten dagegen, da es eine Beschädigung des Gelenks verhindern will. Ein Muskel, der weniger leisten muss, wird abgebaut und da der notendige Widerstand immer geringer wird, wird auch der Antagonist immer schwächer und verliert an neuronaler Ansteuerungsfähigkeit. Erhalten wir die Kraft des Muskels, erhalten wir auch die Gelenkigkeit. Bis weit ins Alter.
An dieser Stelle sollten jetzt aber mal alle, die keine regelmäßige Bewegung haben, aufhorchen. Da wir ab dem 3. Lebensjahrzehnt bereits immer weniger Muskelmasse aufbauen können, beginnt dieser Abbau also bereits in unseren frühen 30ern – wenn wir nichts dagegen tun. Und dieses „etwas dagegen tun“ ist schlicht und ergreifend trainieren. Herz-Kreislauf ebenso wie Kraft und Beweglichkeit. Es ist also nicht so, dass Altern die Bewegungsarmut befördert, sondern eher so dass Bewegungsarmut nicht nur für viele Stoffwechselkrankheiten verantwortlich ist, sondern die Alterung geradezu fördert. Je weniger Bewegung du also hast, desto härter wird es dich im Alter treffen.
Unser Körper ist nämlich eine absolute Sparmaschine: Was nicht gebraucht wird, wird gnadenlos abgebaut. Und daher ist das Motto, „If you don’t use, you lose it!“ nicht nur fürs Gehirn, sondern den ganzen Körper so wichtig. Wir können das zwar immer wieder aufbauen, aber die Fähigkeit dazu lässt immer mehr nach, weil die Regenerationsfähigkeit unter den Veränderungen unseres Körpers eben auch leidet. Ab dem 6ten Jahrzehnt geht es nur noch ums Erhalten der vorhandenen Muskelmasse. Aber das reicht um alle Funktionen und eben auch die Beweglichkeit aufrecht zu erhalten.
Ich habe dazu mal ein paar Studien gesammelt, die das schön belegen:
1. Neural Aspects of Muscle Stretching
– Diese Studie zeigt, dass neurale Mechanismen eine signifikante Rolle bei den Gewinnen in der Bewegungsfreiheit um ein Gelenk durch Dehnübungen spielen. Das Dehnen eines Muskel-Sehnen-Komplexes reduziert die spinale Reflexerregbarkeit, was die passive Spannung verringert und die Beweglichkeit des Gelenks erhöht.
– [Guissard & Duchateau, 2006]
2. Light resistance and stretching exercise in elderly women: effect upon flexibility
– Diese Studie zeigt, dass Bewegungsmangel zu einer verminderten Beweglichkeit führt. Leichte Widerstands- und Dehnungsübungen verbessern signifikant die Beweglichkeit, indem sie die neuronale Ansteuerung der Muskulatur stärken.
– [Raab et al., 1988]
– Diese Studie zeigt, dass statisches Stretching die Beweglichkeit durch eine Verringerung der passiven Steifigkeit und der tonischen Reflexaktivität verbessert. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sowohl neurale als auch mechanische Anpassungen zur verbesserten Flexibilität beitragen.
– [Guissard & Duchateau, 2004]
4. The role of mechanical and neural restraints to joint range of motion during passive stretch
– Diese Studie untersucht, ob die maximale Beweglichkeit eines Gelenks durch passive mechanische Kräfte oder durch neural induzierte Kontraktionsreaktionen begrenzt wird. Die Ergebnisse unterstützen die Theorie, dass die muskuläre Flexibilität in mechanischen und nicht in neuralen Begriffen erklärt werden kann.
– [McHugh et al., 1998]
5. Age-dependent motor unit remodelling in human limb muscles
– Diese Studie beschreibt die Veränderungen der motorischen Einheiten im Alter und hebt hervor, dass ohne geeignete neuronale Innervation die Muskeln nicht funktionieren können. Die Ergebnisse deuten auf eine neuronale Basis für den Verlust der Muskelmasse und der Beweglichkeit hin.
– [Piasecki et al., 2015]
Fazit dieser Studien
Mehrere Studien zeigen, dass Bewegungsmangel und die damit verbundene neuronale Ansteuerung der Muskulatur eine wesentliche Rolle beim Beweglichkeitsverlust spielen. Regelmäßige Bewegung und gezielte Dehnungsübungen können die neuronale Funktion unterstützen und den Verlust der Beweglichkeit mindern.
Und zu dem Spruch „Sport schadet doch den Gelenken“ – kein Sport zu machen, schadet ihnen noch mehr.
Es hat also zwar schon etwas mit dem Altern zu tun, dass wir steifer werden, aber wenn wir uns eine gute Muskelmasse erhalten, können wir diesen Effekt sehr lange hinauszögern. Und das ist nicht hat alleine auf den Konditionsfaktor Beweglichkeit beschränkt. Je öfter wir es schaffen insgesamt über unsere Komfortzone hinauszugehen, desto länger bleibt unser gesamtes System vital und vor allem leistungsfähig. Jetzt habe ich als IronMan meine Komfortzone beim Konditionsfaktor Ausdauer schon ganz schön ausgedehnt und müsste daher immer weiter gehen. Oder das Muster wechseln, was ich gerade tue. Im zarten Alter von 57 entdecke ich jetzt also ganz andere Formen von sportlicher körperlicher Betätigung, die mich immer wieder aufs Neue herausfordern. Dadurch bleibt mein Gehirn und mein Körper im Entwicklungsmodus und verlernt nichts, sondern verbessert sich immer noch gemessen am Vortag. Und das kann jeder! Wer immer das Gleiche tut, wird immer das bleiben was er schon ist.
Und ich gehe sogar noch weiter als diese Aussage: durch die zunehmende Gewöhnung unseres Körpers und Gehirns, wird der Körper immer weniger Energie aufwenden müssen etwas zu bewältigen. Damit wird er ab einem bestimmten Punkt immer weniger leistungsfähig, weil die entsprechen Strukturen von Lernen, wofür viel Energie aufgewendet werden muss, nur noch auf Exekutieren umgeschaltet werden. Die Devise muss also heißen: ständig verändern. Gestern Schwimmen, heute SUPen, morgen Bergwandern, übermorgen Laufen oder Tennis oder Fussball oder Hyrox oder Crossfit, oder ……. Ob HIIT, AMRAP Cardio, völlig egal. Der Wechsel der Beanspruchung ist das Geheimnis von echter Fitness. Nicht dicke Muskeln. Die Anpassungen an unterschiedliche gesamtkörperliche Beanspruchungen halten dein Gehirn auf Empfang. Und einerseits macht das Spaß und zweitens bleibst du damit jung und dementsprechend beweglich.
Als Nicht-Profi sollte es das Ziel sein den Sport spaßorientiert zu halten, denn was uns immer wieder Freude bereitet, belohnt uns und vervielfältigt damit seine Wirkung in uns. Profis dagegen müssen ein striktes Programm verfolgen, um entweder konstant fit (Liga-Betrieb) oder auf den Punkt fit (IronMan, Olympia, etc) zu sein. Da tritt die Freude beim Training zwangsläufig ein wenig in den Hintergrund und die Belohnung wird durch den Erfolg im Wettbewerb (hoffentlich) erzeugt. Als Amateure brauchen wir so nicht zu trainieren. Dass die Einstellung unserem Körper gegenüber dennoch eher die eines Sportprofis sein sollte, werde ich in einem anderen Artikel thematisieren.
Es ist nie zu spät, aber der Weg wird immer steiler, wenn du nicht rechtzeitig mit Gegenmaßnahmen startest. Wieder einmal ist es also unser eigener Lebensstil, der für oder gegen uns arbeitet. Es ist selten die Genetik alleine, die bestimmt, wie wir sind. Unser Handeln bestimmt, was wir aus unseren Möglichkeiten machen.
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