Heute ist es genau ein Jahr her, dass ich meinen Unfall hatte. Viele werden sich vielleicht nicht mehr erinnern: Ich bin auf einer Trainingsfahrt mit einer anderen Radgruppe kollidiert, die hinter einer zugewachsenen und nicht einsehbaren Kurve quer über den Weg verteilt standen. Ich war zu schnell um gut auszuweichen und die anderen zu unachtsam den Weg freizuhalten. Ein Unglück eben, wie es täglich tausendfach auf der Welt passiert.
So blieb es bei denen bei ein paar blauen Flecken, aber bei mir wars ein wenig hässlicher. Trümmerbruch des Unterkiefers, Riss im Gaumen, 7h OP, 40 Stiche Narbe unter dem Kinn und natürlich kein IronMan-Start 2023. Ich war in Topform und bin mit einem Knall aus dem Traum vom 14. IM Finish gerissen worden. Ich war ruhig und gefasst als es passiert war und hatte mich gut unter Kontrolle. Die anderen in Panik. Mein Nerv im Gesicht war durchtrennt und die Schmerzen waren daher und durch das ausgeschüttete Adrenalin erträglich. Ich erinnere mich noch genau wie ich die Leute gebeten habe den Notruf zu verständigen und sie nicht in der Lage dazu waren, weil wir im Elsaß waren und wie erst andere vorbeifahrende Menschen geholfen haben, die Ambulanz zu verständigen.
Gefühlt eine Ewigkeit später fand ich mich auf einer Trage mit einem Schmerzmittel intus und einer Halskrause, weil man wohl dachte meine Wirbelsäule wäre verletzt. Aber die Halskrause machte die Sache am Kiefer noch schlimmer. Also weg damit. Im Krankenhaus wollten sie mir dann zuerst die Wunde zunähen und mich dann nach Strassburg in eine Klinik schicken. Die haben die Situation zunächst vollkommen verkannt. Erst als dann die Bilder vom CT kamen wurde denen klar, dass hier viel Schlimmeres passiert war. „C’est tout cassee!“ murmelte die Ärztin ganz erschrocken. Ich machte ihr klar, dass ich französisch verstand und sie entschuldigte sich. Wofür? Das ist jetzt Fakt. Deal with it!
Ich dachte nicht, ich handelte. Ich lehnte es ab, dass sie mich nach Straßbourg brachten. Nicht weil ich den französischen Ärzten misstrauen würde. Sie haben dort eine Universitätsklinik und die Ärzte sind bestimmt nicht schlechter ausgebildet als unsere. Einfach aus logistischen Gründen. Ich war so im Moment wie selten in meinem Leben. Und es war auch eine lebensgefährliche Situation, wie mir der Chefarzt vom städtischen Klinikum in Karlsruhe am Tag nach der OP bestätigte. Nur 3-5cm haben mich von Rollstuhl oder sogar vom Sarg getrennt. Radfahren kann ein gefährlicher Sport sein.
Heute geht es mir wieder einigermaßen gut. Ich habe zwar noch eine Reko-Schiene mit 20 Schrauben im Kiefer und noch so ein paar kleine Zipperlein (Mundöffnung und taube Lippe), fühle mich aber nicht sonderlich eingeschränkt. Ich habe bereits 2-4 Wochen nach dem Unfall wieder begonnen Sport zu machen und auch Rad zu fahren, und plane auch wieder beim IM dabei zu sein, auch wenn ich spüre, dass mich dieser Unfall möglicherweise Jahre meines Lebens gekostet hat. Ich habe sogar schon wieder an einem Volkslauf teilgenommen und war schneller als bei meiner ersten Teilnahme vor 19 Jahren dort. Jetzt mache ich mich eben so fit es geht, damit ich die OP, um die Rekoschiene wieder rausholen zu lassen, so gut wie möglich überstehe. Als Trainer muss ich sowieso immer fit sein. Und sei es nur um meinen Kunden ein Vorbild zu sein, aber auch weil ich nicht das Gefühl habe, dass ich schon am Ende meiner Reise bin.
So ein Erlebnis macht einen bewusster, wachsamer und umsichtiger. Es holt einen zurück in die Realität. Erdachte und erzählte Realitäten haben keine Bedeutung. Für mich war es bereits der zweite scharfe Cut in meinem Leben, der mir die eigene Sterblichkeit bewusst gemacht hat. Denn erst wenn man sich seiner Sterblichkeit wirklich bewusst ist, weiß man das Leben richtig zu schätzen und dankbar dafür zu sein. In diesem Sinne: Passt auf Euch auf!