Keine Zeit hätten wir nur, wenn wir unsterblich wären

Moment mal: „Ich denke, dann hätten wir doch alle Zeit der Welt?“ Auf den ersten Blick schon, aber alles von etwas zur Verfügung zu haben ist kein Unterschied zu nichts von etwas zur Verfügung zu haben, weil der Unterschied nicht mehr wahrnehmbar ist! Das Bewusstsein des Mangels an etwas schafft erst den Wert von diesem etwas in unserer Welt. Erst in dem Moment, in dem wir erkennen, dass wir irgendwann sterben werden, erkennen wir den Wert unseres Lebens!

Trotzdem höre ich immer wieder: „Ich habe keine Zeit dafür.“ Echt jetzt? Nicht dein Ernst!

Ich versuche hier Zeit nicht als physikalisches Phänomen zu erklären. Das kann ich gar nicht, ich bin kein Physiker. Sondern als das wie es auf uns und unseren Körper wirkt. Woran würden wir eigentlich das Fortschreiten der Zeit erkennen? Also wenn wir keine Uhren hätten? Im Prinzip nur an der Veränderung von Zuständen der Natur in uns und um uns herum. Am wiederkehrenden Ablauf der Jahreszeiten zum Beispiel. An Dingen, die an uns vorüberziehen und so weiter. Wenn alles immer genau gleich wäre und es keine Veränderung gäbe, würden wir dann Zeit überhaupt wahrnehmen? Wahrscheinlich nicht.

Aber unser Körper ist genau darauf programmiert. Er orientiert sich dabei am Stand der Sonne. Die Veränderung des Sonnenstandes und die damit einhergehenden unterschiedlichen Reaktionen unseres Körpers scheinen zu suggerieren, dass wir eine Uhr in uns haben. Stimmt nur fast. Es ist viel komplexer, beginnt aber mit so etwas wie einer – Sanduhr (diesen Mechanismus hier auch noch zu erklären – dann würde das hier ein Biobuch werden und kein Blogeintrag). Diese sitzt in jeder Zelle unseres Körpers und wird durch einen winzigen „Neuronenknubbel“ von etwa 20.000 Neuronen, den Nucleus Suprachiasmaticus im Gehirn gesteuert.

Der wiederum wird durch eine Veränderung der Wellenlänge des Lichts, die unsere Augen (übrigens auch geschlossen) wahrnehmen, dazu angeregt diese „Sanduhr“ unserer Zellen immer wieder neu zu starten. Und das passiert alle ca 24 Stunden von neuem. Unsere Zellen sind genetisch darauf programmiert auf bestimmte Reize in unserem Körper oder unserer Umwelt, die in Form von Neurotransmittern und Hormonen weitergeleitet werden, zu reagieren. Organzellen zu einem anderen Zeitpunkt als Muskelzellen oder Gehirnzellen oder Knochenzellen oder Hautzellen. Dabei kommt immer ein Zusammenspiel von Hemmung und Stimulation zum Einsatz. Jeder Zelltyp des Körpers hat dabei sein eigenes Reiz-Reaktionsschema. Eine Substanz startet etwas (Stimulation) und eine andere beendet den Prozess (Hemmung). Es ist für unsere Gesundheit von enormer Bedeutung, dass dieses Zusammenspiel in allen Zellen langfristig funktioniert. Irgendwie einleuchtend, oder?

Aber auch wenn das Zusammenspiel funktioniert – mit jedem Tag verlieren wir scheinbar ein paar Sandkörnchen aus dieser Sanduhr unserer Zellen. (Ich bleib mal bei dem Bild, auch wenn der eigentliche biologische Vorgang viel komplizierter ist.) Unser Leben endet ja irgendwann mal auch ganz natürlich. Meistens sind es die hochsensiblen komplexen Regelkreisläufe wie z. b. das Immunsystem, die mit zunehmendem Alter immer schlechter funktionieren, bis sie irgendwann ganz versagen und man an einem simplen Schnupfen sterben kann.

Von Beginn unseres Lebens an läuft jeden Tag eine hochkomplexe Kaskade von Prozessen ab, die wir nur bedingt verändern oder aufhalten können. Wenn wir mittels Instrumenten „reinzoomen“ könnten, dann würden wir sehen wie in Mikrosekunden viele Dinge passieren und wenn wir rauszoomen, bemerken wir an uns selbst wie unser Zustand sich verändert und wenn wir noch weiter rauszoomen, dann könnten wir uns beim Altern beobachten. Je näher wir rangehen, desto schneller scheint alles und je weiter wir weg sind, desto länger braucht es, um die Veränderung zu erkennen. Hm! Übersetzt heißt das wahrscheinlich: je näher du bei dir bist, desto besser nimmst du auch kleine Veränderungen an dir wahr. Und je weiter du weg bist von dir und deinem Körper, weil du beispielsweise abgelenkt bist, desto schlechter nimmst du diese Veränderungen wahr. Und kriegst vielleicht gar nicht mit, dass dein Körper nicht mehr reibungslos arbeitet. Das ist ja aber schon ein ziemlich heikler Punkt, oder?

Wir könnten diese Kaskade an Prozessen natürlich abrupt stoppen – aber sie nennt sich Leben. Und das will ja aber keiner – meistens jedenfalls.

Wir können sie aber durch Veränderungen unseres Lebensstils ein wenig verzögern, aber nie ganz aufhalten. Sonst wären wir ja unsterblich. Und in diesem Falle würde ich zustimmen, dass du keine Zeit hast. Denn dann würdest du außerhalb dessen existieren, was wir als Erkennungsmerkmale für Zeit zur Verfügung haben. Das ist aber irgendwie nur Göttern vorbehalten.

Aber da das definitiv nicht zutrifft, kann es nur um Prioritäten gehen. „Dieses oder jenes ist mir nicht wichtig genug, um mich damit zu beschäftigen.“ Und da gibt es beileibe genug Dinge, die wir in unserer Prioritätenliste hintenanstellen könnten. Aber das Einzige, was Du wirklich besitzt, was dein Eigentum ist und du nicht nur geliehen hast, ist dein Körper und dein Geist. Und für das Einzige, was du besitzt und wofür du die uneingeschränkte Verantwortung trägst, willst du nicht die Zeit aufbringen es zu pflegen? Ich wiederhole mich: Echt jetzt? Ist das dein Ernst? Und – mach dir nichts vor: Dein Körper wird reagieren, wenn du ihn nicht hegst und pflegst. Er kann nicht anders! Ob du es willst oder nicht! Und ob es dir gefällt oder nicht!

Ob wir unsere Zeit als gut oder schlecht empfinden, ist alleine unsere Bewertung. Ob sie uns lange und erfüllt vorkommt oder schnell vorbei ist und uns leer erscheint, hängt nur davon ab, was wir damit anfangen. Wir haben uns durch die Einteilung des Tages in Stunden und Minuten von der natürlichen Zeit abgekoppelt. Jeder Tag ist per Definition gleich lang. Aber für unseren Körper gilt das nicht. Er kann nur in Sonne da (Licht blauer Wellenlänge vorhanden, auch bei Bewölkung) und Sonne weg (kein Licht blauer Wellenlänge vorhanden, es ist Nacht) unterscheiden. In Zeiten längerer Dunkelheit fühlen wir uns deshalb dann auch nicht so gut und viele Menschen in hiesigen noch weiter nördlichen Breitengraden leiden darunter. Der Rhythmus der Sonne scheint also etwas sehr Wichtiges und Elementares für unseren Körper zu sein, denn er steuert Phasen der Aktivität und der Erholung.

Zeit ist ein relatives Konstrukt. Denn, wo fängt sie eigentlich an und wo endet sie? Insofern ist sie eine Illusion und eine reine Erfindung des Menschen. Oder hängt irgendwo im Weltall/Universum eine Uhr rum? Überdies scheint sie im Universum auch nicht einheitlich zu vergehen. Physiker haben zunächst berechnet und später beweisbar entdeckt, dass Zeit im Einflussbereich starker Gravitationsquellen (insbesondere Schwarze Löcher) langsamer zu vergehen scheint. Oha! Noch eine Komplexitätsebene. Zeit und Gravitation! Das Fass will ich hier aber nicht aufmachen. Über die Geheimnisse dieses Zusammenhangs streiten sich die Gelehrten schon seit Jahrzehnten.

Tiere beispielsweise kennen gar keine Zeit, sondern nur eine Veränderung von Umweltbedingungen und Zuständen. Du kannst dir die Zeit auch nicht vertreiben, sondern nur sinnvoll oder sinnlos nutzen. Und genau wie du nicht „nicht kommunizieren“ kannst, kannst du nicht „nichts tun“. Denn auch im reinen Sein, tut unser Körper schon etwas. Der Zustand des reinsten Seins ist, für die meisten Menschen jedenfalls scheinbar, der Schlaf. Aber im Schlaf verrichtet der Körper, und unser unbewusster Geist, Höchstleistung. Nur kriegen wir es nicht mit, weil unser Bewusstsein Pause hat. Die große Kunst des Lebens ist es aber Momente des reinen Seins im Wachzustand zu erleben. So wie Kinder oder Tiere! Diesen Zustand nennen wir dann Flow. Oder auch pures Glück!

Für unser episodisch arbeitendes Gedächtnis ist Zeit eine Abfolge von Jetzt-Momenten und nur wenn wir der allumfassenden Parallelität aller Vorgänge (also diesem Riesenstrom der gleichzeitigen Ereignisse) kurzzeitig mal gewahr werden, erhaschen wir einen winzigen Blick ins Universum.

Was gibt es aus dieser, zugegeben umfangreichen, Betrachtung jetzt für dich mitzunehmen? Eine Menge, denn was eigentlich nur ein wenig philosophisch erscheint, hat konkrete praktische Auswirkungen:

  1. Wenn der Tag/Nacht Rhythmus deines Körpers aus dem Takt gerät, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass du das langfristig mit Krankheiten bezahlen musst. Achte also darauf, womit du deine Tage füllst und versuche dir einen guten Tag/Nach-Rhythmus zu erhalten.
  2. Wie du deine Zeit empfindest, ist nur deine persönliche Bewertung und deine Verantwortung. Somit liegt das Glück immer zu deinen Füssen, um es mal poetisch auszudrücken.
  3. In jedem Moment, deines Lebens kannst du eine Entscheidung treffen etwas zu verändern und beginnen sie umzusetzen.
  4. Jeder neue Moment ist es wert gelebt zu werden, denn er kann dein Lehrmeister für ein anderes Leben sein – wenn du zuhörst.
  5. Je mehr es uns gelingt Momente ohne Zeit und ohne Gedanken an gestern oder morgen zu verbringen, desto mehr spüren wir das pure Glück in uns. „Im Moment“ zu sein ist keine sinnfreie Floskel: Der Moment ist sprichwörtlich die einzige Realität, die unser Gehirn wirklich kennt! Alles andere ist nur (re-)konstruiert! Denk daran, wenn du das nächste Mal Angst vor etwas hast oder in Erinnerungen schwelgst!

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